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12:10

DIE PASSION CHRISTI (2004)

THE PASSION OF THE CHRIST

«Der umstrittenste Film aller Zeiten.»

Umfrage des US-Magazins Entertainment Weekly, Juni 2006

USA 2004
Regie: Mel Gibson
Buch: Benedict Fitzgerald, Mel Gibson
Kamera: Caleb Deschanel
Darsteller: James Caviezel (Jesus), Monica Bellucci (Magdalena), Maia Morgenstern (Maria), Rosalinda Celentano (Satan), Mattia Sbragia (Kaiphas), Christo Schopow (Pontius Pilatus), Francesco De Vito (Petrus), Hristo Jivkov (Johannes), Luca Lionello (Judas), Sergio Rubini (Dismas)
Länge: 126 Min.

Reaktionen

«Erbarmungslos brutal, präsentiert sich DIE PASSION CHRISTI wie das Evangelium nach Marquis de Sade.»
David Ansen, Newsweek, 1. März 2004

«In solchen Stereotypen können Abertausende von amerikanischen Born-again-Christen ihr Coming-out zum wahren, christusnahen Selbst beschreiben. Originell an Gibsons Glaubensbiographie ist nur das steile Selbstvertrauen, die Passion seines Herrn ‹ganz authentisch› nachfilmen zu können. Seine ästhetische Naivität, alles ‹just the way it happened› zu zeigen, entspricht dem biblizistischen Wortpositivismus, die Evangelien böten von Gott selbst verbürgte Tatsachenberichte. Kritikern, die ihm gut dreihundert Jahre historischkritische Bibelwissenschaft vorhalten, entgegnet er ernsthaft: «Wir haben recherchiert, ich erzähle die Geschichte genauso, wie die Bibel sie erzählt.» (Friedrich Wilhelm Graf [evangelischer Theologe], FAZ, 16. März 2004)

Brief an Pro7 zur Ausstrahlung am Karfreitag, 6. April 2007

«Sehr geehrter Herr De Posch
Vorstandsvorsitzender (CEO),
mit höchster Verwunderung und Sorge haben wir als Vertreter von 84 Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Deutschland die Ankündigung der von Ihrem Sender geplanten Ausstrahlung von Mel Gibsons Film Die Passion Christi am Karfreitag, den 06. April 2007 zur Kenntnis genommen. Wir haben bereits im März 2004 anlässlich des Filmstarts der Passion in deutschen Kinos öffentlich auf den antijüdischen, ja antisemitischen Charakter dieses Films hingewiesen […] Diese damalige Kritik hat nichts an Relevanz verloren. Dass Sie Die Passion Christi zudem ausgerechnet an einem Karfreitag ausstrahlen wollen, zeugt von besonderer historischer und politischer Insensibilität. Ihnen dürfte bekannt sein, dass die jüdischen Gemeinden Europas über Jahrhunderte hinweg just am Karfreitag Opfer brutaler Pogrome wurden. Von antijüdischen Karfreitagspredigten aufgestachelt, die ganz im Sinne von Gibsons Passion den Juden die Schuld am Tode Christi zuschanzten, kam es allerorten zu gewalttätiger ‹Judenhatz›, wie es in den zeitgenössischen Quellen hieß.»
Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Deutscher Koordinierungsrat DKR, 26.3.2007

Gemeinsame Stellungnahme des Zentralrats der Juden sowie der evangelischen und katholischen Kirche in Deutschland

«Am 18. März 2004 startet der umstrittene Film DIE PASSION CHRISTI in den deutschen Kinos. Wie kein anderer Bibelfilm zuvor hat dieser Film schon im Vorfeld erhebliche Kontroversen unter Vertretern verschiedener Religionen, Theologen und Filmexperten hervorgerufen. Ebenso extrem sind die Reaktionen der Besucher: Einige sind tief beeindruckt und fühlen sich angeregt, über DIE PASSION CHRISTI intensiver nachzudenken. Andere sind durch die brutalen Bilder, vor allem der Geißelung und Kreuzigung, schockiert und empfinden den Film als belastend. Das Ausmaß der brutalen Szenen der Gewalt empfinden wir als überaus verstörend. Die rohen, lauten Szenen der Geißelung, des Kreuztragens und der Kreuzigung selbst muten den Kinobesuchern viel zu und überschreiten für viele die Grenze des Erträglichen. Wenn die ständigen Gewaltdarstellungen der Medien immer weiter überboten werden sollen, endet dies in einer fast unaufhaltsamen Spirale der Grausamkeit. Mit dieser drastischen Darstellung verkürzt der Film die Botschaft der Bibel auf problematische Weise. Der Film birgt die Gefahr in sich, das Leben Jesu auf die letzten zwölf Stunden zu reduzieren.
Wie die bisherige Diskussion gezeigt hat, liegt ein weiteres Problem des Films in der Darstellung der damals beteiligten Juden. Unabhängig davon, ob der Film von seiner Intention her antisemitisch ist, besteht die Gefahr, dass der Film im Sinne antisemitischer Propaganda instrumentalisiert werden kann. Zwar enthält der Film durchaus Ansätze zu Differenzierungen in der Darstellung der jüdischen Figuren, insgesamt erweckt er jedoch den Eindruck einer negativen Überzeichnung zum Beispiel des Hohen Rates und breiter Schichten des jüdischen Volkes. Die Darstellung des Films birgt die Gefahr, dass antisemitische Vorurteile wiederaufleben. Dies ist besonders brisant angesichts einer Situation in Europa, in der ein Erstarken antisemitischer Tendenzen erkennbar ist.
Wir warnen gemeinsam nachdrücklich vor jeder Instrumentalisierung des Films und des Leidens Jesu im Sinne antisemitischer Propaganda. Die christlichen Kirchen haben ausdrücklich erklärt, dass der Antijudaismus zur christlichen Schuldgeschichte gehört. Sie weisen die These von einer Kollektivschuld des jüdischen Volkes und jede Form von Antisemitismus und Rassismus entschieden zurück. Die Beziehungen zwischen Christen und Juden sind heute von gegenseitigem Respekt und Anerkennung geprägt. Wir fordern alle Verantwortlichen auf, entschieden dafür einzutreten, dass diese guten Beziehungen nicht durch eine sich auf diesen Film berufende Instrumentalisierung des Leidens Jesu beeinträchtigt werden.»
Gemeinsame Pressemitteilung vom 18. März 2004, unterzeichnet von: Zentralrat der Juden in Deutschland, Präsident Dr. h.c. Paul Spiegel. Deutsche Bischofskonferenz, Karl Kardinal Lehmann. Evangelische Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber

Web-Tipp
www.passion-film.de

Trailer (Quelle: YouTube)

Screenshots: aus DVD, erschienen bei Constantin

11:47

TAL DER WÖLFE – IRAK (2005)

KURTLAR VADISI – IRAK

«ein antiwestlicher und degoutant antisemitischer Hetzstreifen»

Robert Misik, taz, 22. Februar 2006

Türkei 2005
Regie: Serdar Akar
Buch: Raci Sasmaz, Bahadir Özdener
Kamera: Selahattin Sancakli
Darsteller: Necati Sasmaz (Polat Alemdar), Billy Zane (Sam William Marshall), Bergüzar Korel (Leila), Ghassan Massoud (Sheikh Kerkuki), Gary Busey (Arzt), Gürkan Uygun (Memati Bas), Kenan Coban (Abhülhey Coban), Erhan Ufak (Erhan Ufak), Diego Serrano (Dante), Jihad Abdou (Kurdenführer)
Länge: 124 Min.

Reaktionen

«Also ging ich ins Kino. Der Film KURTLAR VADISI – IRAK […] sorgt schließlich für anschwellende Erregung. Mit Recht: Immerhin ist ein panislamischer, antiwestlicher und degoutant antisemitischer Hetzstreifen, drauf und dran, zum erfolgreichsten türkischen Film aller Zeiten zu werden.»
Robert Misik, taz, 22. Februar 2006

«Was schlimm ist an der Hassfilm-Sache, ist die Hooliganisierung des Publikums, die hier implizit betrieben wird. Denkt man wirklich, in den Vorführungen von Tal der Wölfe hocken lederbejackte, mit dem Klappmesser in den Hosentaschen spielende Türkenjungen, die am Ende, vom Leinwandgeschehen aufgegeilt, in den Straßen Randale machen werden?»
Fritz Göttler, Süddeutsche Zeitung, 23. Februar 2006

«[Es] könnte sein, dass uns die muslimische Medienwelt einen Spiegel vorhält, indem sie uns statt unlesbarer orientalischer Kryptogramme unsre eigenen, nur allzu verständlichen Bilder zurückschickt […], wenn ein türkisches Filmstudio einen grob geklebten James-Bond-Verschnitt nach westlichen Genre-Regeln und mit westlichem Stereotypenmuster produziert – nur dass die Rollen der good und der bad guys jetzt vertauscht sind.»
Alexandra Stäheli, Neue Zürcher Zeitung, 27. Februar 2006

«Abu Ghraib ist kein perverser Regieeinfall eines durchgeknallten nationalistischen Filmemachers. […] Das macht TAL DER WÖLFE so unangenehm. Wer sich jetzt nach dem Kinobesuch im Publikum empört und große Augen ob der ‹gewalttätigen Bilder› macht, sollte sich fragen, welche Bilder er eigentlich meint?»
Rüdiger Suchsland, Telepolis, 28. Februar 2006

Trailer (Quelle: YouTube)

Screenshots: aus DVD, erschienen bei Koch Media

11:41

BASIC INSTINCT (1992)

BASIC INSTINCT

«ein kalter und herzloser Film»

Kathleen Maher, The Austin Chronicle, 27. März 1992

USA 1992
Regie: Paul Verhoeven
Buch: Joe Eszterhas
Kamera: Jan de Bont
Darsteller: Michael Douglas (Det. Nick Curran), Sharon Stone (Catherine Tramell), George Dzundza (Gus Moran), Jeanne Tripplehorn (Dr. Beth Garner), Leilani Sarelle (Roxy), Dorothy Malone (Hazel Dobkins), Wayne Knight (John Correli)
Länge: 128 Min.

Reaktionen

«Auch möchte ich dich inständig bitten, dass du dir die Zeit nimmst, dich gemeinsam mit mir und Vertretern der Schwulengemeinde an einen Tisch zu setzen. Ich sehe ja ein, dass du beschäftigt bist, aber ich denke, es wäre nur fair, wenn wir uns ihre Belange aus erster Hand anhören. Wir alle sind letzten Endes in der Kommunikationsbranche tätig. Und wenn sich manche Leute verletzt fühlen, glaube ich, haben wir eine Verantwortung als Menschen und Filmemacher, ihnen zuzuhören.»
Aus einem Brief von Joe Eszterhas an Paul Verhoeven vom 15. April 1991

«Bevor das Skript nicht völlig überarbeitet ist und die Voraussetzungen sich verändert haben, werden wir nicht aufhören zu demonstrieren. […] Wir haben den Drehplan des Films, und wir werden die Dreharbeiten auf öffentlichen Straßen ordentlich aufmischen.»
Jonathan Katz von Queer Nation, Los Angeles Times, 29. April 1991

«Auch unabhängig von dieser Debatte ist BASIC INSTINCT ein kalter und herzloser Film. […] Bei den Protesten geht es nicht um eine Figur, die bisexuell ist und eines Mordes verdächtigt wird. Die Aktivisten protestieren, weil es im Film eine ganze Reihe von homosexuellen Charakteren gibt und nicht einer davon als normaler, gesunder Erwachsener dargestellt wird. Vielmehr wird in BASIC INSTINCT der Eindruck erweckt, als sei die weibliche Sexualität mal wieder die Quelle allen Übels.»
Kathleen Maher, The Austin Chronicle, 27. März 1992

«Ich war schockiert. Diese Proteste zeigen die ganzen Verfallserscheinungen der Schwulenpolitik. Das war ein pornografischer Film, der nationale Verbreitung erfuhr. Er hätte eigentlich als extrem und schön und bizarr gefeiert werden müssen. Als ich die Schönheit des Films wahrnahm, wurde mir klar, dass die Schwulenaktivisten sich schon so sehr zu einer Clique mit Kreml-Mentalität entwickelt hatten, dass sie völlig den Kontakt zum Volk verloren haben. Je mehr man sich in Gruppen zurückzieht, desto mehr verliert man seine Instinkte, man ist so abgestumpft durch das Aktivisten-Weltbild, dass man nicht einfach genießen kann und sagen, ‹Junge, das ist ein Knaller! Wow! Sieh dir Sharon Stone an.› Das war ein revolutionärer Film, der die amerikanische Mittelschicht mit einem pornografischen Stil und einer pornografische Sprache konfrontierte. Es macht mich krank, dass er, statt als revolutionär zu gelten, als reaktionär abgestempelt wurde.»
Kulturhistorikerin Camille Paglia, die den Audiokommentar zur DVD von BASIC INSTINCT verfasste, 1995 in einem Interview auf der Online-Enzyklopädie für homosexuelle Kultur

Trailer (Quelle: YouTube)

Screenshots: aus DVD, erschienen bei Kinowelt

11:26

KIDS (1995)

KIDS

«Kinderpornografie unter dem Gewand einer warnenden Dokumentation»

Rita Kempley, Washington Post, 25. August 1995

USA 1995
Regie: Larry Clark
Kamera: Eric Alan Edwards
Darsteller: Leo Fitzpatrick (Telly), Chloë Sevigny (Jennie), Justin Pierce (Casper), Yakira Peguero (Darcy), Sajan Bhagat (Paul), Billy Valdes (Stanly)
Länge: 91 Min.

Reaktionen

«KIDS ist mit seinem verstörend voyeuristischen Blick auf jugendliche Promiskuität nichts anderes als Kinderpornografie unter dem Gewand einer warnenden Dokumentation. Angesiedelt in einem nihilistischen Nimmerland folgt dieser schlüpfrige Film den Abenteuern des 16-Jährigen Telly (Leo Fitzpatrick), ein pickliger Peter Pan, der sich darauf spezialisiert hat, kleine ‹baby girls› zu entjungfern. Außer Pädophilen dürfte sich kaum jemand von dieser verantwortungslosen ‹Little Bo Peepshow› angesprochen fühlen.
Das eigentliche Enfant terrible ist hier Regisseur Larry Clark, ein Fotograf, der schon früher, in Teenage Lust Kindersex erforschte, einem Buch das explizite Fotos von Kindern und Jugendlichen zeigte, die sich mit so perversen Praktiken wie Fesselspielen beschäftigten. Offensichtlich ist dies eine Obsession. […]
Kids dürfte Eltern zweifellos furchtbare Angst einjagen. Die meisten werden ihren Nachwuchs aber nicht unter den Kindern, von denen einige erst 9 oder 10 Jahre alt zu sein scheinen, wiedererkennen. Keines davon scheint eine funktionsfähige Verbindung zur Welt der Erwachsenen zu haben. […]
Clarks Kids fehlt es an moralischer Orientierung ebenso wie an Mitgefühl. Sie sind nichts anderes als Puppen.»
Rita Kempley, Washington Post, 25. August 1995

«KIDS setzt auf den Skandal, den der Film in Amerika erwartungsgemäß provozierte. Denn das Obszöne der Bilder entspringt der bedachten Verwechslung von Kino und Leben, eine Gleichung, die seit PULP FICTION der Gewalt beizukommen glaubt und der zufolge sich Authentizität wie von selbst einstellt, wenn man alles Verständnis fahren lässt und die Kamera nur gnadenlos draufhält.
Zarte Haut, knallharter Slang, müde grinsende Kindergesichter. Clarks Methode ist die Schocktherapie, die sich den Zynismus seiner Helden anverwandelt und ihren Körperkult eins zu eins in eine raue Körpersprache übersetzt. Ein Trash-Film, der mit Schweiß, Spucke, Sperma und Blut auch die Wahrheit über die No-Future-Teenies abzusondern behauptet. Aber KIDS zeigt nur ihre Moden und Rituale. Ihrem Wesen kommt Clark nicht näher als die Schlagzeilen der Sensationspresse.»
Christiane Peitz, Die Zeit, 10. November 1995

«Wenn ein Aufklärungsfilm von seinem Zielpublikum nicht mehr gesehen werden darf, dann hat er keinen Sinn, außer dass er unterhält oder einen Skandal entfacht. Unterhalten tut er nicht, aber der Skandal ist perfekt. KIDS zeigt auf, wie prüde unsere Gesellschaft ist, die einen offensichtlichen Jugendfilm Jugendlichen vorenthalten will.»
«Wildcat», Biwidus (Zürcher Jugendmagazin), 1. Februar 1996

Trailer (Quelle: YouTube)

Screenshots: aus DVD, erschienen bei Universum/Senator

10:59

FUNNY GAMES (1997)

«Ein bisschen erinnern die Kontroversen rund um Funny Games an die Natural Born Killers von Oliver Stone»

Claus Philipp, Der Standard, 12. September 1997

Österreich 1997
Buch und Regie: Michael Haneke
Kamera: Jürgen Jürges
Darsteller: Susanne Lothar (Anna), Ulrich Mühe (Georg), Arno Frisch (Paul), Frank Giering (Peter), Stefan Clapczynski (Schorschi)
Länge: 109 Min.

Reaktionen

«Haneke hat recht, wenn er manche Verherrlichungen von Gewalt eng mit der gegenwärtigen Praxis der Massenmedien zusammendenkt – aber sein polemischer Ingrimm, mit dem er Grausamkeiten noch zuspitzt, beliefert letztlich nur einen Markt, der tatsächlich immer härteren ‹Stoff› sucht. Ein bisschen erinnern die Kontroversen rund um FUNNY GAMES an die NATURAL BORN KILLERS von Oliver Stone. Auch dort gab jemand vor, mediale Gewalt zu dekonstruieren. Auch das wurde letztlich nur modisch begrüßt – für schwere Denke bei kulturpessimistischen Selbstgeißlern bzw. als Schauwert für MTV-Freunde.»
Claus Philipp, Der Standard, 12. September 1997

«Keine Mittäterin werden – Leserbrief einer FSK-Veteranin
Natürlich ist meine Ausgangsposition hoffnungslos, wenn ich mir die Bewertung eines Films anmaße, den ich selbst nicht gesehen habe, sondern nur durch Aussagen des Regisseurs und Kostproben veröffentlichter Meinung abstützen kann. Wie meist bei auffälligen Filmen sind sich die Kritiker auf interessante Weise uneins. Nach der Süddeutschen Zeitung beispielsweise spielt in FUNNY GAMES nicht das Mördertrio mit seinen Opfern, sondern der Regisseur mit den Kinobesuchern, während die Frankfurter Allgemeine den ‹Überwältigungscharakter des Mediums› preist. Streng genommen ist auch nicht der umstrittene Film das ‹Opfer der Begierde› (zur Kritik!), vielmehr ist es die hohe Bewertung des Films durch mir bekannte und geschätzte Filmberater, die ihm das Prädikat sehenswert verpassten. Trotz meines Respekts werden sie mich nicht zum eigenen Augenschein auf den Marsch ins Kino setzen. Mit der Unterschiebung, ‹die Brisanz der Fragen, die Haneke in diesem grausamen Spiel anschneidet nicht ernsthaft zur Kenntnis zu nehmen› (film-dienst) werde ich – und hoffentlich auch andere Besuchsverweigerer – leben können. Tröstlich immerhin, nicht durch einen schweren Golfschläger lädiert zu werden, der auf ein Schienbein saust! […] Zwar scheint mir der Disput über zunehmende Gewaltbereitschaft ohne zusätzlichen Aufklärungsbedarf, denn die Fakten ihrer Realität kommen täglich wie frische Semmeln schon auf den Frühstückstisch und gegen Vertrauensseligkeit an der Haustüre hat uns schon Eduard Zimmermann geimpft. Aber Hanekes Warnung vor dreisten Unholden ist, wenn ich die Interpreten richtig verstehe, nur ein Nebeneffekt seiner Geschichte. In Wirklichkeit will er die verdeckt im Kino sitzenden Komplizen erschrecken, die mit wohlig ausgestreckten Beinen und einer Tüte Popcorn im Schoß das Brutalmonster Film skrupellos genießen, heute wie gestern und morgen. Ihr Genuss ohne Reue am Nimbus der Gewalt, bar jeden Mitgefühls und Gnade für ihre Opfer, stempelt sie zu schuldhaften Mittätern. Weil das Potential mitgelieferter Brutalität den genussvollen Unterhaltungseffekt nicht aufwiegt, greift Haneke zum Mittel inszenierter Quälerei als erzwungener Selbsterfahrung des Zuschauers. Der sanften Tour als Transportmittel von Einsicht und Einkehr misstrauend, will er den Leuten im Kino durch Zufügung schmerzhafter Gefühlsverletzung den Appetit auf Mediengewalt verderben. Dafür nimmt er offensichtlich ein moralisches Recht in Anspruch, Grenzen des Zumutbaren bewusst zu überschreiten. Diese Grenzen sind freilich nirgendwo authentisch definiert und verbindlich festgeschrieben. Aber jede Gesellschaft entwickelt Grenzwerte zum eigenen Schutz und zur Gefahrenabwehr für ihre Bürger. Die Missachtung dieser Grenzlinie etwa durch die These, dass der Zweck die Mittel heiligt, ist erfahrungsgemäß ein moraltheologischer Irrtum mit nachhaltigen Folgen. Auch das homöopathische Rezept, Gleiches mit Gleichem zu heilen, taugt nur für die Medizin. Gibt es überdies Sinn, wenn ein Teil der Zielgruppe vorzeitig das Kino verlässt und statt mit bewegendem Ernst und gewecktem Problembewusstsein mit Unlustgefühlen flüchtet und sei es auch nur aus Ärger über verlorene Zeit und verschwendetes Geld?
Vielleicht ist Haneke im Umfeld heutiger Pädagogik nicht ganz zuhause. Sie hat nämlich längst erkannt, dass für Einsicht und Umkehr zum Guten nicht Abscheu vor dem Bösen als Triebfeder taugt oder gar Einsicht und Einkehr bewirkt. Unsere Eigenhaftung am Unrecht lässt sich nur schwer durch Argumente ablösen und durch Angstgefühle vor schädlichen Folgen abbauen. Es gilt vielmehr, alternative ‹Inszenierungen› von Lust zu entwickeln, wie sie die sogenannte ‹Erlebnispädagogik› einfallsreich praktiziert, um der Sache mit dem ‹Kick› auf der Spur zu bleiben, einem Anreiz zum Objektwechsel für Interesse, Spannung und Lust. Ich zweifle am teuer erkauften Sinn von Hanekes säkularisiertem Heilsangebot. In diesen Wochen hat ein Philosophenkongress wieder am giftigen Duft der ‹Blumen des Bösen› geschlürft, um auf seinen verführerischen Geschmack zu kommen (Baudelaire). Dass er jederzeit abrufbar ist, konnten Psychologie und Pädagogik bisher nicht verhindern. Aber dass auch Gefühle wie Menschenliebe, Gemeinsinn, Mitleid und Vergebung und ein überfließendes Herz ‹duften› können, überlässt den ‹Blumen des Bösen› wenigstens nicht alle Chancen. Diesen Duft auch im Kino in die Nase zu bekommen, ist gewiss nicht weniger ‹sehenswert› als Hanekes ‹Thriller›. Er deckt auch Modergeruch auf, den im eigenen Herzen ganz gewiss.»
Leserbrief von Paula Linhart, langjährige Vertreterin Bayerns in den Ausschüssen der FSK, zur Kritik von FUNNY GAMES im Film-Dienst

Trailer (Quelle: YouTube)

Screenshots: aus DVD, erschienen bei Concorde