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10:49

IDIOTEN (1998)

IDIOTERNE

«Der Film ist, formal wie inhaltlich, ein heftiger Schlag auf den Kopf des Betrachters, desorientierend und verstörend.»

Ekkehard Knörer, www.jump-cut.de

Dänemark 1998
Buch, Regie und Kamera: Lars von Trier
Darsteller: Bodil Jörgensen (Karen), Jens Albinus (Stoffer), Anne Louise Hassing (Susanne), Troels Lyby (Henrik), Nikolaj Lie Kaas (Jeppe)
Länge: 114 Min.

Reaktionen

«Es fällt schwer, IDIOTEN zu mögen – und deswegen fällt es auch schwer, dem Film zu entkommen.»
Christian Braad Thomsen in einer Broschüre anlässlich des Filmfestivals in Göteborg 1998

«Einen Film zu beurteilen, der im Grunde ein kunstvolles Experiment oder einen Rorschachtest für Kinozuschauer darstellt, ist keine leichte Aufgabe. Dies ist die Art von Film, die zwischen Meisterstück und heillosem Fehlschlag schwankt, abhängig davon, wie der Zuschauer auf ihn reagieren möchte.»
Jeremiah Kipp, www.filmcritic.com, 24. April 2000

aus Lars v. Triers Tagebuch

7. Juni 1998: Wir haben mit großem Vergnügen die Notwendigkeit diskutiert, im Film diverse erigierte Penisse und unterschiedliche Arten der Penetration zu zeigen. Dabei kamen die verschiedensten Lösungen auf den Tisch – als letztes die Back-up-Möglichkeit, einige von Trine Michelsens Freunden aus der harten Branche für die Nahaufnahmen zu bekommen. Aber mal sehen, wie es läuft. Es scheint als nähmen alle diesen Part gut gelaunt hin, und das ist ja phantastisch.
16. Juli: Da spielen welche Idioten, und gleichzeitig bumsen sie richtig. Das erzeugt eben genau die kleine Grenzüberschreitung, die diese Szene und dieser Film braucht.

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Screenshots: aus DVD, erschienen bei Arthaus

10:35

IM REICH DER SINNE (1976)

AI NO KORÎDA

«Der größte Porno aller Zeiten.»

B.Z. über IM REICH DER SINNE

Japan/Frankreich 1976
Buch und Regie: Nagisa Oshima
Kamera: Hideo Ito
Darsteller: Tatsuya Fuji (Kichizô), Eiko Matsuda (Sada Abe), Aoi Nakajima (Toku, Kichizôs Frau), Taiji Tonoyama (Bettler), Meika Seri (Magd), Kanae Kobayashi (alte Geisha)
Länge: 102 Min.

Die Geschichte der Abe Sada
Im Internet kursiert ein Bild, das die historische Sada Abe kurz nach ihrer Verhaftung am 20. Mai 1936 auf der Polizeistation in Takanawa zeigen soll. Zu sehen ist dort eine junge Frau im traditionellen Gewand einer Geisha; fröhlich, vielleicht ein wenig schüchtern lächelnd. Um sie herum stehen vier Männer in Anzügen oder Uniform, die ebenfalls lächeln, ungezwungen, teilweise geradezu ausgelassen. Zwei von ihnen werfen der Gefangenen Blicke zu, aus denen man Bewunderung herauslesen könnte. Ob es sich bei diesem Foto tatsächlich um ein authentisches Dokument handelt, sei dahingestellt. Aber es würde passen zum Mythos, der den Kriminalfall der Sada Abe in Japan praktisch von Beginn an umgab. Da steht eine Frau, die ihren Geliebten erdrosselte und ihm hinterher die Genitalien abtrennte, umringt von Polizisten, die sie anhimmeln, als wäre sie ein Star.
Nagisa Oshimas IM REICH DER SINNE basiert auf einer wahren Begebenheit. In der Nacht zum 18. Mai 1936 tötete Sada Abe nach einer exzessiven erotischen Affäre ihren Geliebten Kichizo Ishida. Hinterher trennte sie mit einem Messer das Geschlechtsteil des Toten ab, wickelte es in eine Zeitschrift und packte es in ihre Handtasche. Mit Blut schrieb sie «Sada, Kichi Futari-kiri» («Sada, Kichi für immer vereint») auf den Leichnam und spazierte davon. Die anschließende öffentliche Fahndung ging als «Abe Sada Panik» in die japanische Kriminalgeschichte ein. Überall im Land wollten Augenzeugen die Gesuchte entdeckt haben. Verhaftet wurde sie schließlich zwei Tage später, am 20. Mai, im Zimmer eines Gasthofes. Beim Eintreten der Polizei soll sie sich sofort zu erkennen gegeben und, um alle Zweifel auszuräumen, das Glied des Toten präsentiert haben. «Ich liebte ihn so sehr, ich wollte ihn ganz für mich alleine», gab sie später auf die Frage zu Protokoll, weshalb sie den verheirateten Ishida getötet habe. Sada Abe, die am 28. Mai 1905 als siebtes von acht Kindern einer Mittelschichtfamilie in Tokio geboren worden war und sich vor ihrer Begegnung mit Ishida zunächst wenig erfolgreich als Geisha versucht, schließlich als Prostituierte und später als Kellnerin durchgeschlagen hatte, wurde am 21. Dezember 1936 wegen Totschlags zu sechs Jahren Haft verurteilt. Am 17. Mai 1941, fünf Jahre nach der Tat, wurde sie vorzeitig entlassen. 1948 erschien ihre Autobiografie Memoirs of Abe Sada. Danach zog sie sich mehr und mehr aus der Öffentlichkeit zurück, ehe sich zu Beginn der 1970er Jahre ihre Spur verlor. Aber die Legende lebte weiter; bereits Regisseur Noboru Tanaka brachte sie 1975 als DIE GESCHICHTE DER ABE SADA auf die Leinwand. Und noch immer rankten sich Gerüchte um Sada Abe. Henry Miller sei ihr angeblich einmal begegnet. Da war sie Hotelbesitzerin und verheiratet. Als ihr Mann von ihrer Vorgeschichte erfuhr, nahm er Reißaus. Und auch Nagisa Oshima, hieß es, habe Sada Abe bei den Recherchen zu seinem Film noch einmal ausfindig gemacht: mit kurzgeschorenen Haaren in einem Nonnenkloster.

DVD-Tipp
Noboru Tanaka (Regie): A WOMAN CALLES ABE SADA, Japan 1975. Rapid Eye Movies.

Lesetipp
Nagisa Oshima: Schriften – Die Ahnung der Freiheit. Berlin: Wagenbach 1982.

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Screenshots: aus DVD, erschienen bei Concorde

10:29

DIE LETZTE VERSUCHUNG CHRISTI (1988)

THE LAST TEMPTATION OF CHRIST

«Der Film ist eine der raffiniertesten Verführungen und Blasphemien, welche die Welt je gesehen hat.»

Mutter Basilea Schlink über DIE LETZTE VERSUCHUNG CHRISTI

USA 1988
Regie: Martin Scorsese
Buch: Paul Schrader nach dem Roman von Nikos Kazantzakis
Kamera: Michael Ballhaus
Darsteller: Willem Dafoe (Jesus), Harvey Keitel (Judas), Barbara Hershey (Maria Magdalena), Verna Bloom (Maria)
Länge: 163 Min.

Reaktionen

«Pfarrer geloben Boykott von Scorseses Jesusfilm
Eine Gruppe von südkalifornischen protestantischen Geistlichen drohte heute damit, einen Boykott von Unternehmen der MCA [Music Corporation of America] zu organisieren, falls Universal Pictures den neuen Film von Martin Scorsese Die letzte Versuchung Christi herausbringe.
Keiner der Pfarrer hat den Film gesehen, jedoch behaupteten sie – nachdem sie zwei Drehbücher gelesen hatten – der Film stelle Jesus als ‹einen geistig verdrehten und lustgesteuerten Mann› dar, ‹der Judas Iscariot davon überzeugt, Ihn zu verraten›. […]
Die Pfarrer, angeführt von Tim Penland, der bei Universal angestellt war, um den Film der christlichen Gemeinde nahe zu bringen, der aber im letzten Juni gekündigt hatte, erklärten auf einer Pressekonferenz, dass Universal ein Abkommen verletzt habe, das es ‹einer ausgewählten Gruppe christlicher Kirchenvertreter› erlaubt hätte, ‹den Film vorab zu sichten, um eventuelle Einwände geltend zu machen›. […]
Alle Pfarrer, die sich auf der Pressekonferenz äußerten, beharrten darauf, dass sie – obwohl sie den Film verhindern wollten – keine Zensur befürworteten. Pfarrer Dr. Jack Hayford von The Church On The Way […] sagte, der Film erniedrige Jesus in einer Art und Weise wie Schwarze und Moslems nicht erniedrigt werden dürften. Andere Sprecher, einschließlich Bill Bright, Präsident der Campus Crusade for Christ, beklagten, dass ‹eine Hand voll Menschen mit großem Reichtum und verdorbenem Geist› die Welt korrumpiere. […]
Viele Geistliche im Publikum sagten, dass sie schon jetzt in ihren Gemeinden Flugblätter mit der Telefonnummer der Universal-Zentrale und einer Liste der Firmen, deren Inhaber MCA ist, verteilten.
Penland berichtete, dass Donald Wildmond, ein fundamentalistischer Prediger aus Tupelo, Mississippi, der 1982 einen Boykott der NBC angeführt hatte, mit 170.000 Pastoren in Kontakt getreten sei, 2,5 Millionen Aktionspakete verschickt habe und von allen Kinos in San Antonio die Zusage erhalten habe, dass der Film dort nicht gezeigt werde. […] (Aljean Harmetz, New York Times, 13. Juli 1988.)

«Der in mehreren Darstellungen biblischer Episoden plakative und enttäuschend flache Film stellt sich durch sein Gottesbild und die Zeichnung Jesu Christi in grundsätzlichen Widerspruch zur christlichen Heilsbotschaft. In ihrem ikonographischen Charakter wirken die Bilder ohne spirituelle Kraft und verfehlen den zentralen Aspekt des christlichen Glaubens, die erlösende Anteilnahme Gottes am existentiellen Sein des Menschen. Zuschauer, die den dargestellten Jesus als Jesus der Bibel (miss-)verstehen, können zu Recht Anstoß nehmen.»
Stellungnahme der Katholischen Filmkommission

Trailer (Quelle: YouTube)

Screenshots: aus DVD, erschienen bei Universal

09:46

DIE SÜNDERIN (1951)

«Ein Faustschlag ins Gesicht jeder anständigen deutschen Frau!»

Aus einem Flugblatt zu DIE SÜNDERIN

Deutschland 1951
Schwarzweiß
Produktion: Junge Film-Union Rolf Meyer; Deutsche Styria-Film GmbH
Produzent: Helmuth Volmer
Regie: Willi Forst
Buch: Gerhard Menzel
Kamera: Václav Vích
Darsteller: Hildegard Knef (Marina), Gustav Fröhlich (Alexander), Robert Meyn (Marinas Stiefvater), Änne Bruck (Marinas Stiefmutter), Jochen-Wolfgang Meyn (Marinas Stiefbruder), Andreas Wolf (Arzt)
FSK: ab 12
Länge: 87 Min.

Reaktionen

«Die Biographie einer Dirne – als effektvolles ‚Zeitschicksal’ in Szene gesetzt und mit jener kommerziellen Gefühligkeit ausgestattet, die keine wirkliche Tragik zulässt. In so verlogener Zubereitung muss ein derartiger Stoff auch dann anstößig wirken, wenn die Regie auf den lasziven Anstrich einiger Szenen verzichtet hätte. Abzulehnen wegen hinnehmender Darstellung der Prostitution und der Tötung auf Verlangen sowie der romantischen Verklärung des Selbstmordes.»
Beurteilung der Katholischen Filmkommission im Filmdienst.

«ACHTUNG! GIFTMORD! Der Film Die Sünderin verherrlicht das Leben einer Prostituierten! Er ist ein Faustschlag in das Gesicht jeder anständigen deutschen Frau! Hurerei und Selbstmord – sollen das die Ideale eines Volkes sein? Gift für unser Volk! Gift für unsere Jugend!»
In Pirmasens kursierende Flugblatt.

«Alle, die sich wahrhaft lieben, können aus Ekel tief krank werden, wenn sie diesen Film sehen; und alle Leichtfertigen werden aufgepeitscht, sich noch freier und hemmungsloser bloßzustellen. Prostitution, Ehebruch, Selbstmord, Opferscheu, Selbstsucht: all das wird verherrlicht […].»
Katholischer Beobachter, 27. Januar 1951.

«Wenn dieser Film überhaupt etwas ‚verherrlicht’ […], dann ist es die erschütternd innige Liebe zweier Menschen, denen das Schicksal nun einmal nicht wohl wollte.»
Coburger Neue Presse, 30. Januar 1951.

«Was nicht erlaubt ist […], das ist der unbestritten selbstverständliche, der unbedenkliche, vor allem der theatralische, der schöne, der romantisierte Kino-Selbstmord, wie er hier verübt wird. […] Wir leben in einem Land, in dem es unzählige Kriegsblinde gibt, die sich nicht umbrachten, von denen manche sogar heiter wurden: Sie sind […] die Helden – nicht jene Sektselbstmörder des Films.»
Gunter Groll, Süddeutsche Zeitung, 15. Februar 1951.

«Zu meinem großen Schmerz wird der berüchtigte Film DIE SÜNDERIN trotz aller Proteste zuständiger Stellen nun auch in Köln, in der Metropole unserer Erzdiözese, aufgeführt. Ich kann als Oberhirte dazu nicht schweigen. Das öffentliche Ärgernis darf öffentlich nicht unwidersprochen bleiben. […] Ich erwarte, dass unsere katholischen Männer und Frauen, erst recht unsere gesunde katholische Jugend in berechtigter Empörung und in christlicher Einmütigkeit die Lichtspieltheater meidet, die unter Missbrauch des Namens der Kunst eine Aufführung bringen, die auf eine Zersetzung der sittlichen Begriffe unseres christlichen Volkes hinauskommt. Ein Christ, der trotzdem diesen Film besucht, auch wenn er glaubt, es ohne unmittelbare Gefahr für seine persönliche sittliche Unversehrtheit tun zu können, gibt Ärgernis und macht sich mitschuldig an einer unverantwortlichen Verherrlichung des Bösen.»
Der Kölner Erzbischof und Vorsitzende der Fuldaer Bischofskonferenz Joseph Kardinal Frings in einem auf den 28. Februar 1951 datierten und «alsbald nach dem Empfang und jedenfalls am Sonntag, dem 4. März von allen Kanzeln in der Erzdiözese» zu verlesenden Mahnwort.

«Tag für Tag strömen Hunderte von getauften Christen in das Kino, um ihre ‹künstlerischen Bedürfnisse› zu befriedigen an Darbietungen, die an Schamlosigkeit und Verhöhnung der christlichen Grundsätze kaum mehr zu übertreffen sind. Wohl hat die Kirche nachdrücklich davor gewarnt. Auch die Presse hat ihre Pflicht getan. Aber umsonst. Das Ärgernis ist ein doppeltes. Es besteht nicht nur darin, dass solche Schamlosigkeiten überhaupt öffentlich dargeboten werden, sondern auch in der gleichgültigen Haltung eines Teiles unseres christlichen Volkes, darin, dass katholische Männer und Frauen dies so gelassen und ruhig hinnehmen, nicht empört sind über diese Kulturschande, und vielleicht sogar selbst hineingehen unter irgendeinem Vorwand, ohne zu bedenken, welches Ärgernis sie durch ihr schlechtes Beispiel Hunderten von Mitchristen geben. Dabei zittert man vor dem Bolschewismus! Die Frauen und Mädchen sind entsetzt beim Gedanken an das Schreckliche, das ihre Schwestern im Osten vor sechs Jahren über sich ergehen lassen mussten. Aber von einem Entsetzen darüber, dass die Frauenehre in der eigenen Heimat in den Kot getreten wird, merkt man nichts. Der Bolschewismus ist längst da! Wir nähren die Schlange am eigenen Busen.»
Mahnwort des Passauer Bischof Simon Konrad Landersdorfer.

«Im Grunde hat die Kirche dieses Theater nur gemacht, weil im Film ein Doppelselbstmord vorkommt. Es war die Lebensverweigerung, die irritierte, nicht der nackte Busen.»
Hildegard Knef 1995 im Rückblick auf den Skandal

Screenshots: aus DVD, erschienen bei Arthaus

09:18

DAS SCHWEIGEN (1963)

TYSTNADEN

«So werden die Künstler zu Totengräbern der Gesellschaft.»

Weihbischof Walther Kampe über DAS SCHWEIGEN

Schweden 1963
Schwarzweiß
Buch und Regie: Ingmar Bergman
Kamera: Sven Nykvist
Darsteller: Ingrid Thulin (Ester), Gunnel Lindblom (Anna), Jörgen Lindström (Johan), Hakan Jahnberg (der junge Kellner), Birger Malmsten (Barkellner)
Länge: 95 Min.

Reaktionen

«Wenn Millionen einem Kunstwerk zuströmen, das, vermindert um drei Szenen, vielleicht nur einige Hunderttausende angelockt hätte, dann enthalten diese Szenen etwas, das Millionen berückt. Ist es, ohne dem oft zitierten Säugetier zu nahte treten zu wollen, ganz einfach das ‹Schweinische›? Sind alle jene, die sonst nicht in diesen Film gegangen wären, nun nichts anderes als ‹Ferkel› oder zumindest ‹Ferkelchen›?»
Georg Ramseger, Die Welt, 23. November 1963

«Die Vorführung eines solchen Films und den Ansturm auf diesen Film kann ich nur als ein Anzeichen eines sittlichen Niedergangs ansehen, der weite Teile unseres Volkes ergriffen hat. Unser Volk wird durch den Film in neuem und erschreckendem Ausmaß demoralisiert.»
Der evangelischer Landesbischof von Oldenburg Gerhard Jacobi im Dankesschreiben an den Landrat Hermann Krämer, der DAS SCHWEIGEN am 13. Mai 1964 in seinem Kreis verbieten ließ

«Mögen Ingmar Bergman und andere auf die Kontrastwirkung abzielen, um die Menschen auf ihren heillosen Zustand aufmerksam zu machen, so gehen sie doch fehl, da sie die Massenwirkung nicht bedacht haben. Die Masse wird nicht abgeschreckt, sondern fühlt sich bestätigt. So werden die Künstler, ohne es zu wollen, zu Totengräbern der Gesellschaft, die das Leichengift der Verwesung verbreiten, anstatt es durch Antitoxine unschädlich zu machen. Niemand von uns wünscht die Zensur, aber wenn kein soziales Verantwortungsbewusstsein den Künstler aus seiner individualistischen Selbstzerfleischung rettet, muss die Gesellschaft schließlich doch als letztes Mittel nach dem Staat als Zensor rufen.»
Der katholische Limburger Weihbischof Walther Kampe

«Wir deutschen Bischöfe wenden uns an alle Verantwortlichen in der Filmwirtschaft und ihren Organisationen wie auch in der Filmselbstkontrolle; wir wenden uns an die kompetenten Stellen im Bund und in den Ländern mit dem ernsten Aufruf nach eingehender Überprüfung unseres Filmwesens. Unser Volk ist nicht nur von außen bedroht. Was soll eine Freiheit, welche – um mit dem Apostel Paulus zu reden – zum ‹Deckmantel der Bosheit› missbraucht wird? Unsere Gesellschaft kann keinen Bestand haben ohne die Atmosphäre der Ehrfurcht, der Würde und der Sauberkeit.»
Die katholischen Bischöfe in einem an die SPIO, die FSK sowie die FBW gerichteten Protestschreiben vom 10. Juni 1964

«Öffentliche Warnung der Humanistischen Union vor der ‹Aktion Saubere Leinwand
Unter der Devise des Kampfes für eine ‹saubere Leinwand› ist in einer Reihe von Städten eine Aktion angelaufen, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die Aufführung von Filmen zu unterbinden, die bestimmte Bevölkerungsgruppen für unmoralisch und sittengefährdend halten.
Die Humanistische Union bestreitet keiner dieser Gruppen das Recht, ihre Überzeugungen zu verbreiten und das Urteil und Verhalten möglichst vieler Bürger in ihrem Sinne zu beeinflussen. Die Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Welt- und Menschenbildern ist das Lebenselement einer freiheitlichen Gesellschaft.
Es ist jedoch, wo nicht die erklärte Absicht, so die zwangsläufige Konsequenz der von der ‹Aktion Saubere Leinwand› erhobenen Forderungen, dass ihre Auffassung von Kunst und Moral nicht durch Argumente, sondern nur mit Hilfe des Staates durchgesetzt werden kann. Die inszenierte ‹Volksbewegung› soll Anlass und Material für einen von einer Gruppe von CDU/CSU-Bundestagsabgeordneten unterstützten Antrag auf Änderung des Grundgesetzes liefern. Dieser Antrag sieht vor, die in Artikel 5 garantierte Freiheit von Kunst und Wissenschaft zukünftig an die ‹allgemeine sittliche Ordnung› zu binden. Eine solche Einschränkung würde nach dem Wunsch und Willen der Antragsteller Polizei und Staatsanwaltschaft instand setzen, alle künstlerischen und wissenschaftlichen Werke zu verbieten, die mit den zur Allgemeinverbindlichkeit erhobenen Kunst- und Moralvorstellungen der zuständigen Behörden nicht in Einklang zu bringen sind. Es wäre dies der Anfang vom Ende der Bemühungen, nach den Erfahrungen der Jahre 1933 bis 1945 wenigstens im westlichen Teil Deutschlands die Spielregeln eines freiheitlichen Kulturstaates heimisch zu machen.
Die Entscheidung über Bejahung oder Ablehnung einer wissenschaftlichen These oder eines künstlerischen Werkes, über das Anschauen oder Nichtanschauen eines Filmes, steht in einer demokratischen Gesellschaft keiner staatlichen Instanz und auch keiner Unterschriften-Kampagne, sondern allein dem einzelnen mündigen Staatsbürger zu. Für Schutz der Minderjährigen, der immer wieder als Argument für den Feldzug herhalten muss, ist gerade in der Bundesrepublik ausreichend gesorgt. Sie zeichnet sich durch eine besonders strenge Jugendschutzgesetzgebung aus und hat unter allen westlichen Ländern den höchsten Prozentsatz von Filmen, die für Jugendliche verboten sind. Die ‹Aktion Saubere Leinwand› ist der gefährliche Versuch, aus den geschmacklichen und moralischen Neigungen und Abneigungen eines Teiles der Bevölkerung Kapital für eine politische Aktion zu schlagen, die durch einen Eingriff in die Verfassung unser geistiges und kulturelles Leben einer Gesinnungs- und Geschmacksgleichschaltung unterwerfen will, wie sie in autoritär und totalitär regierten Ländern üblich ist. Die bisher vorliegenden Verlautbarungen der Aktion zeigen, dass wir es hier mit einer neuerlichen üblen Mobilisierung des sogenannten ‹gesunden Volksempfindens› gegen das zu tun haben, was die Diktaturen aller Schattierungen als ‹entartete Kunst› und ‹zersetzende Wissenschaft› diffamieren und verfolgen.
Die Humanistische Union hält ein Gespräch mit den Befürwortern der ‹Aktion Saubere Leinwand› nur für sinnvoll, soweit diese unmissverständlich erklären, dass sie bei der Diskussion um die zukünftige Entwicklung der Filmkunst und Filmindustrie nur ihre Überzeugung zur Geltung bringen, nicht aber andere Überzeugungen mit Hilfe von Polizei und Staatsanwaltschaft ausschalten wollen. Solange dieser durch viele Dokumente belegte Verdacht nicht ausgeräumt ist, rufen wir alle politischen, kulturellen und wissenschaftlichen Institutionen und Verbände und jeden einzelnen Staatsbürger auf, sich dieser Warnung anzuschließen.»
Humanistische Union, gezeichnet: Prof. Otto Dix, Prof. Dr. Ossip K. Flechtheim, Prof. Dr. Dietrich Goldschmidt, Prof. Dr. D. D. Helmut Gollwitzer, Martin Held, Prof. Dr. Walter Jens, Dr. Erich Kästner, Helmut Käutner, Peter Lühr, Prof. Dr. Alexander Mitscherlich, Erwin Piscator, Prof. Dr. Ulrich Sonnemann, Dr. Gerhard Szczesny, Oberlandesgerichtspräsident Dr. Richard Schmid, Intendant Hans Schweikart, Bernhard Wicki. München, am 11. Juni 1965

Trailer kurz / lang (Quelle: YouTube)

Screenshots: aus DVD, erschienen bei Arthaus